Die Rektorentafel im Hauptgebäude der Universität Wien am Ring

Herbst.1892–21. Jhdt.

Die Namen aller Rektoren seit der Gründung der Universität Wien 1365 wurden 1892 in der rechten Seiten­nische der Aula des Hauptgebäudes an der Wiener Ringstraße in Marmor gemeißelt. Die Rektorentafeln – früher in Anlehnung an die römischen fasti consulares (Marmortafeln der höchsten Magistrate am Kapitol) Rektorenfasten genannt – in der Aula vermitteln mit ihrer langen, kontinuierlichen Namensreihe gewählter Leiter der Universität eine viele Jahrhunderte währende Kontinuität und Beständigkeit. Über alle realen Brüche hinweg sollten sie ein Symbol der ungebrochenen Selbständigkeit der Universität darstellen, ihre – reale oder idealisierte – Autonomie in der freien Wahl des Leiters ausdrücken.

(Zur chronologischen Liste der Rektoren der Universität Wien)

Gemeinsam mit den Ehrentafeln der Fakultäten sollte die Rektorentafel die ehrwürdige Geschichte und Gegenwart der Universität Wien veranschaulichen, wie Rektor Adolf Exner einige Monate vor der Eröffnung betonte:

„Unter der prächtigen Thorhalle wird eine monumentale Nische, der Geschichte unserer Hochschule gewidmet, erstehen: sie wird in edler architektonischer Umfassung auf einer Reihe von Marmortafeln die Hauptschicksale ihres 500jährigen Daseins, dazu die vollständige Reihe der Namen ihrer Rectoren, und überdies an besonderen Plätzen die Erinnerung an ihre verstorbenen Schüler enthalten, welche seit dem vorigen Jahrhundert auf irgend einem Felde des Lebens Ausgezeichnetes geleistet haben. Das Werk wird im nächsten Frühjahr […] fertig dastehen – jedem bei uns Eintretenden ein Zeugnis, dass es kein Geschöpf von vorgestern ist, das ihn begrüßt, sondern die älteste Universität auf rein deutschem Boden, ein ehrwürdiger Baum, dessen Stamm in guten und schlimmen Tagen sich grün erhalten, und obzwar zu Zeiten blos vegetierend, dennoch immer wieder zu Blüten und Früchten gekommen ist.“
(Adolf Exner: Bericht über das Studienjahr 1891/92, 24. Oktober 1892, S. 20)

Im Herbst 1884, nach Abschluss der Bauarbeiten am Hauptgebäude, gründete der Akademische Senat eine ständige Artistische Kommission zur künstlerischen Ausgestaltung des Gebäudes. Auf Vorschlag des Archäologen Friedrich August Otto Benndorf und des Theologen Wilhelm Anton Neumann wurde am 9. Dezember 1890 sowohl die Errichtung von Ehrentafeln der Fakultäten als auch einer Rektorentafel („Fasten der Rectoren“) beschlossen. Als Aufstellungsort wurde vom Akademischen Senat am 13. Mai 1892 der gegenwärtige Ort, „eine Nische des Vestibules vis á vis der Portierloge“ an Stelle einer „blinden Türe“, beschlossen. Die am 24. Mai 1893 eröffneten Rektorenfasten stützten sich auf die vom Universitätsarchivar Karl Schrauf erarbeitete Namensliste. 1892/93 waren 783 Namen seit Gründung bekannt – mittlerweile gibt es 873 Einträge, zuletzt 2011 Georg Winckler und 2022 Heinz W. Engl, wobei mittlerweile auch mindestens zwei Namen mittelalterlicher Rektoren bekannt sind, die noch nicht eingetragen sind: Luderus de Palude (1368) und Bertholdus de Wehingen (vor 1377).

Über der Liste gibt es einen „einführenden“ lateinischen Text, verfasst vom Archivar Karl Schrauf. Er nennt die aus damaliger Sicht relevanten universitätshistorischen Meilensteine bis zur Eröffnung des Hauptgebäudes 1884:

„ALMA MATER RVDOLPHINA | 1365 D. XII. MART. A RVDOLPHO IV. DUCE AVSTRIAE | APPROBANTE VRBANO V. P. M. FVNDATUR. | 1384 AB ALBERTO III. DVCE AVSTRIAE FACVLTATE THEOLOGICA | EX AVCTORITATE VRBANI VI. P. M. RENOVATVR | 1385 PRIMVM LEGES SIBI STATVIT | 1533–54 A FERDINANDO I. ROM. REGE REFORMATVR | 1622 A FERDINANDO II. ROM. IMP. SOCIETATI IESV COMMITIITVRI | 1749–83 IMP. MARIA THERESIA ET IOSEPHO II. REI PVBLICAE REDDITVR | 1849 AB IMP. FRANCISCO IOSEPHO I. LlBERIS LEGIBVS NOVISQVE | SEDIBVS ORNATVR EIVSDEM AVSPICIIS IN DIES MAGIS FLORENS | 1884 HANC AMPLISSIMAM DOMVM ACCEPIT“

Als plastischer Schmuck diente das Rektorssiegel als Beglaubigungsmittel (Motiv des Universitätswappens: aufwärts gerichtete Hand mit Ärmelkrause, ein offenes Buch haltend, in einem gestürzten Dreipass – nicht ident mit dem heute als Logo Verwendung findenden Siegel).

Umgang mit NS-Rektoren

Seit es die Rektorentafeln gibt, wurde der jeweilige Rektor nach Ende seiner Amtszeit in latinisierter Form eingetragen unter Angabe der Amtszeit, und zwar einmal für jede Amtsperiode, bei Wiederwahl also mehrfach. Eine Ausnahme bildeten die Jahre 1936 bis 1945. Im Nationalsozialismus wurde dieses Ritual nicht fortgesetzt, weshalb sowohl die letzten beiden Rektoren aus der Zeit des Austrofaschismus, Leopold Arzt und Ernst Späth, als auch die Rektoren der NS-Zeit, Fritz Knoll, Eduard Pernkopf und Kurzzeitrektor Viktor Christian, nicht eingetragen wurden. Der erste Rektor der Nachkriegszeit Ludwig Adamovich verfügte bereits im Mai 1945, dass seine austrofaschistischen Vorgänger umgehend einzutragen sind, die nationalsozialistischen hingegen nicht, da sie nicht von der Universität gewählt, sondern vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Berlin ernannt worden waren. Am 22. Juni 1945 verfügte er:

„Die Namen der vom Reichserziehungsministerium ernannten n.s. Rektoren Prof. Dr. Fritz Knoll und Prof, Dr. Eduard Pernkopf, sind in die Rektorentafel NICHT einzusetzen“.

Nach Ende seines Rektorats entschied sein Nachfolger, Rektor Johann Sölch, 1948 aus Rücksicht auf die interalliierte Besatzung Österreichs, die NS-Rektoren noch nicht einzutragen sondern zwei Zeilen für sie freizuhalten und Rektor Adamovich unterhalb dieser Leerstelle einzumeißeln.

Rektor Richard Meister initiierte in der ersten Senatssitzung seiner Amtszeit am 11. Oktober 1949, gemeinsam mit dem Namen seines Vorgängers Wolfgang Denk auch die Namen Knoll und Pernkopf nachzutragen. Der Senat beschloss jedoch, weiter abzuwarten:

„Bezüglich der Aufnahmen der Namen der Rektoren aus der Zeit von 1938 bis 1945 auf der Rektorentafel wird beantragt, die Namen KNOLL und PERNKOPF nicht anzuführen, da sie nicht gewählte, sondern ernannte Rektoren waren. Es solle vielmehr der Vermerk ‚Nach Wiedererlangung der akademischen Freiheit‘ angebracht werden. […] Der Senat beschliesst, diesen Punkt zu vertagen, um den Senatsmitgliedern die Möglichkeit zu geben, diesen Antrag entsprechend zu überlegen.“

Auf Initiative exponierter ehemaliger Nationalsozialisten, organisiert in der Vereinigung Freiheitlicher Akademiker, wurde diese sprechende Lücke schließlich zehn Jahre später – 1959 – gefüllt und die Namen der Rektoren der NS-Zeit in diese Ehrentafel eingemeißelt. Der damals amtierende Rektor, Professor für evangelische Theologie Erwin Schneider, reagierte auf eine Notiz in der deutschnationalen Zeitschrift „Eckartbote – Deutscher Kultur– und Schutzarbeit“, die lautete:

„Nach mehr als 20 Jahren wäre es endlich hoch an der Zeit, in der Aula der Wiener Universität die Namen der Rektoren für die Jahre 1938 bis 1945 einzusetzen. | Es mag wohl stimmen, dass während des ‚Dritten Reiches‘ die höchste Würde der Wiener Universität nach anderen Gesichtspunkten vergeben wurden als dies an der Alma Mater Rudolfina seit altersher üblich war. Wir wollen es auch menschlich nehmen, wenn man es nach 1945 nicht sehr eilig hatte, das bißchen Goldstaub aufzuwenden, an dem es während des Krieges offensichtlich gefehlt hat. Immerhin war etwa der Anatom Pernkopf ein sehr namhafter Wissenschaftler, und mehr als 20 Jahre nach dem Rektoratsantritt Friedrich Knolls sollte es endlich billig sein, Haß, Groll und Neid zu begraben und ein leeres Feld mit Buchstaben des Erinnerns zu füllen. – Vielleicht ist der derzeitige Rektor, der evangelische Theologe Schneider, der berufenste Mann, versöhnlich zu sein und hier Wandel zu schaffen, denn eine Lücke führt eine beredtere Sprache, als ein längst von vielen neueren Namen ins Zeitlose gehobenes Ehrentafelfeld. | R.H.“

Er distanzierte sich zwar von einigen Argumenten der Notiz, formulierte in seiner Entgegnung aber ausführlich, wie eine solche Forderung argumentiert und legitimiert werden müsse, um erfolgreich zu sein. Ein formelles Ansuchen mit genau diesen Argumenten und Formulierungen erging umgehend – unter den Unterzeichnern exponierte Nationalsozialisten die zu diesem Zeitpunkt wieder in hohen Ämtern in die Gesellschaft integriert waren z.B. der Chirurg Univ.-Prof. Leopold Schönbauer, für den der „Minderbelasteten“-Paragraf im NS-Verbotsgesetz erlassen wurde und an dessen Klinik in der NS-Zeit Zwangssterilisationen stattfanden oder der Univ.-Prof. für Leibesübungen Erwin Mehl (1890–1984), aber auch als Nationalsozialisten von der Universität Wien Entlassene wie Prof. Dr. Helfried Pfeifer (1896–1970), 1949–1959 Nationalratsabgeordneter von WdU/FPÖ, sowie der NS-Rektor der Technischen Hochschule, der Elektrotechniker Prof. Dr. Heinrich Sequenz (1895–1987). Formal beschloss der Senat, nicht aufgrund der Forderung dieser „Kulturträger“ (solche waren als Unterzeichner von Rektor Schneider gefordert worden), sondern „vollkommen getrennt von dieser Angelegenheit“ am 27. Juni 1959 einstimmig, die Namen nachzutragen – in den Sommerferien, ohne Anwesenheit von Studierenden und explizit unter Vermeidung medialer Aufmerksamkeit.

Kunstinstallation „Rektorenfasten – ins licht gerückt“ 2017

Bereits 2014 erstellte das Forum „Zeitgeschichte der Universität Wien“ (Andreas Huber, Katharina Kniefacz, Herbert Posch, Friedrich Stadler) im Auftrag des Rektorats einen Bericht über die Problematik dieses Denkmals, in dem auch darauf hingewiesen wurde, dass nicht nur die „NS-Rektoren“ Knoll und Pernkopf kritisch zu betrachten wären, sondern insgesamt um die 30 Personen wegen ihrer Involvierung in Austrofaschismus oder Nationalsozialsozialismus als mindestens diskussionswürdig eingestuft wurden. Nachdem die unkommentierte Rektorentafel im Rahmen des 650. Jubiläums der Universität Wien 2015 mehrmals öffentlich kritisiert worden war, entschloss sich das Rektorat der Universität Wien eine Kommentierung zu veranlassen.

Zum Kunstprojekt „Rektorenfasten - ins licht gerückt“ von Bele Marx & Gilles Mussard 2017

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Katharina Kniefacz, Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am : 05.03.2024 - 21:21

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